16.8.2017, 12 Uhr

Erzählpartnerschaft „Our Stories – Rewrite the Future” #7: Shida Bazyar

Bei dem Akademie-Projekt „Our Stories – Rewrite the Future“ finden sich junge Geflüchtete mit deutschsprachigen Autorinnen und Autoren zusammen, um gemeinsam literarische Geschichten, die auf den Berichten der Geflüchteten basieren, zu entwickeln. Die Workshops finden in deutscher Sprache statt und auch die aus dem Partnerschaftsprojekt entstehenden Texte werden auf Deutsch verfasst. Die Schriftstellerin Shida Bazyar beschreibt, warum sie an der Erzählpartnerschaft teilnimmt:

Das Interessante ist, dass wir überhaupt nichts kennen. Keinen Bürgerkrieg, keine gescheiterte Revolution, kein Mittelmeer, nichts davon. Zumindest ich nicht. Und die meisten Anderen auch nicht. Die nicht, die so viel reden, im Fernsehen, im Radio, im Feuilleton, in privaten Runden. Das ist auch in Ordnung, denn wir kennen ja viele andere Dinge ziemlich genau. Merkwürdig nur, dass wir uns nicht eingestehen, wie viel wir eigentlich nicht wissen. Dass wir denken, wir kennen Geschichten von Flucht, denn wir gucken ja die Nachrichten und lesen entsprechende Bücher. Die Wahrheit ist aber, dass es mitten unter uns eine große Gruppe an Menschen gibt, deren Einzelschicksale mit genau unserer brutalsten Gegenwart zusammenhängen. Und „wir“ kennen sie kaum.

Vielleicht, weil alle vorgeebneten Wege der Begegnung immer den Fokus auf das „Helfen“ legen. Auf Kleidersammlungen, Unterstützung beim Amt, Deutschkurse. Mein Zugang zu der Welt ist aber ein schreibender, kein helfender. Bei dem Literaturworkshop werde ich Menschen begegnen, die mir nicht gegenüberstehen würden, wenn nicht ein schlechter Zufall aus Zeit und Raum sie hierher gebracht hätte. Ich möchte sie kennenlernen, ich möchte Geschichten teilen, ich möchte neue Geschichten entstehen lassen. Und ich möchte dabei nicht vergessen, dass es allein ein Zufall ist, dass ich es bin, die nichts weiß.

 

Shida Bazyar, geboren 1988 in Hermeskeil, studierte Literarisches Schreiben in Hildesheim. Sie lebt in Berlin, wo sie halbtags als Bildungsreferentin für junge Menschen tätig ist, die ein Freiwilliges Ökologisches Jahr in Brandenburg machen, die verbleibende Zeit verbringt sie als Autorin. Neben Veröffentlichungen von Kurzgeschichten in Zeitschriften und Anthologien war sie Stipendiatin des Klagenfurter Literaturkurses 2012 und Studienstipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung. Für ihren Debütroman Nachts ist es leise in Teheran wurde sie mit dem Kulturförderpreis der Ev.-lutherischen Landeskirche Hannover, dem Bloggerpreis für Literatur und mit dem Ulla-Hahn-Autorenpreis ausgezeichnet.

Veröffentlichung:
Nachts ist es leise in Teheran. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016