8.6.2022, 14 Uhr

Mit dem Lineal gemessen: Eine Titelliste von 85 cm!

Friedrich Dieckmann und SINN UND FORM

Bei der Veranstaltung Friedrich Dieckmann und SINN UND FORM. Eine Zeit- und Lebensgeschichte am 30.5. versuchte Kerstin Hensel in ihrer Begrüßung, das Werk Friedrich Dieckmanns mit dem Lineal zu fassen und zeichnet ein kurzweiliges Porträt des „Kulturbürgers, Intellektuellen und Weltverwunderers“:


Sehr geehrte Damen und Herren,

ich begrüße Sie heute Abend zu einer Veranstaltung, die die Zeitschrift SINN UND FORM ausgerichtet hat. Seit 1949 ist sie geistige Heimstatt und Podium verschiedener in- und ausländischer Schriftsteller, Künstler, Essayisten und Philosophen. Dabei handelt es sich in der Regel um durchblickstiftende, streitbare Menschen, die mit mehr als nur gutem Willen historische und politische Geschehnisse neuartig beleuchten, sowie Ästhetisches auf sinn- und sinnenreiche Weise darbieten oder analysieren.

SINN und FORM – der Titel war und ist Programm. Ursprünglich sollte die Zeitschrift „Maß und Wert“ heißen, nach der von Thomas Mann gegründeten Exilzeitschrift. Man entschied sich für SINN UND FORM, was besagt, dass der Sinn als Bedeutungsgehalt eines sprachlichen Ausdrucks nur in einer Form, in unserem Fall einer künstlerischen Gestalt, einleuchtend existieren kann.

Meine kleine Vorrede dient dazu, um Ihnen jetzt den Hauptakteur unserer heutigen Veranstaltung, Friedrich Dieckmann, vorzustellen. Er ist ein Urgestein unter den Autoren dieser Zeitschrift, zumindest seit 1965, und ich finde:  keiner kennzeichnet das Begriffspaar SINN UND FORM besser als er. Würde ich jetzt anfangen, all seine Beiträge, die er je in diesem Medium veröffentlicht hat, aufzuzählen, wäre der Abend vorbei. Also habe ich, ums kurz zu machen, die Titelliste mit dem Lineal abgemessen und bin auf satte 85cm Länge gekommen. Nur in SINN UND FORM! Hinzu kommen 30cm Titel von Büchern und Herausgaben, und wie ich weiß, hat Friedrich Dieckmann noch einiges mehr in der Schublade – vielleicht verrät er im Laufe des Abends etwas darüber.

Obwohl die Zeitschrift nicht „Maß und Wert“, sondern eben SINN UND FORM heißt, will ich die Längengabe der Dieckmann’schen Titel mit einigen Namen füllen. Friedrich Dieckmann schrieb u.a. über folgende Persönlichkeiten: Beethoven, Bloch, Brecht, Goethe, Fleming, Fontane, Hacks, Hermlin, Jünger, Loest, Luther, Heinrich und Thomas Mann, Mozart, Nagel, Schiller, Schubert, Seghers, Tragelehn, Verdi und Wagner. Es handelt sich, wie gesagt, um eine kleine Auswahl.

Die illustre Dieckmann’sche Welt, in der er sich in vorzüglicher Weise der Einheit von Sinn und Form verschrieben hat, umfasst die kulturellen Kontinente: Sprache, Literatur, Theater, Oper, Musik, Film, Malerei, Architektur, Wissenschaft, Politik und Philosophie. Dieckmann schreibt über Ansprüche, Angelegenheiten und Erschwerungen der Künste sowie der Gesellschaft, über deutsche Nation, Nationalkultur und Wiedervereinigung.

Ich könnte nun in faustischer Erkenntnisbedrängnis fragen: Wo fass ich dich, unendlicher Weltgeist? Die Aufzählung der Begabungen von Friedrich Dieckmann, die mehr zeigen als intellektuelle Fertigkeiten, sollte sich nicht in Schlagworten erschöpfen: Ja, Dieckmann ist Gelehrter, Kunstkenner, Dramaturg, Historiker, Philosoph, Christ, Reformator, Satzungsänderungsexperte, Lyriker und aktives Akademiemitglied. Doch vor allem ist er ein meinungsstarker Nach- und Vorausdenker, dessen Biografie tief in der deutschen Geschichte wurzelt. Ich fange gar nicht erst an, einzelne biografische Punkte zu erwähnen, weil ich dann wieder das Lineal nehmen müsste, um die Dieckmann‘schen Lebensstationen und seine zahlreichen Verbindungen zu Menschen, Künsten und Geschehnissen in Zentimetern auszudrücken. Das wäre verfehlt.

Das erwähne ich noch: Eine der treibenden Energien, die Friedrich Dieckmann, der ja nun – ich darf das sagen – ein ruhestandverdächtiges Alter hat, ist die produktive Skepsis. Sein präziser Stil, seine Unerbittlichkeit in der Haltung; sein Misstrauen, das vor allen den „Meuten der Dummheit“ gilt, macht ihn unverwechselbar und essenziell. „Jede Front“, weiß Dieckmann, „ist schon das Grab einer Wahrheit.“ Er war und ist kein Mann, der gern in vorderster Reihe im Blitzlicht der Medien aufglimmt, sondern ein Alleindenker, der sein Wissen beharrlich mit uns teilt.

Dieckmann ist bekennender Kulturbürger, Intellektueller und Weltverwunderer. Das ist wichtig und mutig in dieser Zeit, in der sich solcherart menschliche Werte in rasantem Sturzflug zu befinden scheinen.

Ich begrüße auf dem Podium Friedrich Dieckmann. Dazu kommen Matthias Weichelt, seit 2013 Chefredakteur von SINN UND FORM, last but not least die Redakteurin Elisa Primavera-Lévy. Ich wünsche einen spannenden Abend.

Kerstin Hensel